OP

Zwischen Feinmechanik und Knochenarbeit

7.45 Uhr. St. Antonius Hospital Kleve. Prof. Dr. med. Christof Braun tritt seinen Dienst an. Es ist Mittwoch. Ein ganz normaler Tag, wenn es überhaupt ‘normal’ gibt in einem Krankenhaus. In der chirurgischen Ambulanz geht es vergleichsweise ruhig zu. Braun ist Chirurg. Und Chefarzt. Gott in Weiß? Weiß: Ja. Gott: Nein.

Programm für den Tag

Das Programm für den Tag: Ambulanz, Frühbesprechung, Visite, OP, Sprechstunde, Verwaltungsarbeiten und — wenn nichts dazwischen kommt — geht’s nach dem Dienst und einem kurzen Abendessen zuhause zur Bigbandprobe. Enstpannung per Musik — Kultur jenseits der Hitechmedizin. Abschalten muss sein.

In der Frühbesprechung wird der Tagesplan abgestimmt. Der OP-Plan steht zwar normalerweise  am Vortag, aber was heißt schon ‘normal’? Schicksal und Tragik halten sich nicht an Pläne, und wenn ein Notfall „reinkommt“, geht „akut vor Plan“.

Gegen 9 Uhr trifft Christof Braun auf „seiner“ Station ein. Visite in kleiner Besetzung. Während Braun zusammen mit einer Pflegerin „die Patienten sieht“, geht der Stationsbetrieb weiter. Nach der Visite geht’s ab in den OP: Raus aus den Klamotten — rein ins OP-Grün. Aus dem freundlichen Doktor bei der Visite wird schnell ein Maskierter Operateur: Häubchen und Mundschutz sind Pflicht. Das St. Antonius Hospital hat gerade einen neuen OP-Trakt bekommen — zu ebener Erde. Der lange Gang, von dem die vier Operationsräume durch Schleusen getrennt sind, ist mit Tageslicht geflutet. Echter Luxus. Das kann auch ganz anders sein.

„Häufig sind die Operationstrakte im Kellerbereich. Im Winter sehen Sie dann als Chirurg kaum Sonnenlicht, denn Sie kommen, wenn es noch dunkel ist und Sie gehen, wenn es schon dunkel ist“, erklärt Braun. Den „Tageslichtluxus“ allerdings werden die meisten, die hier ihren Dienst tun, wohl nur am Rande wahrnehmen, denn: Ein OP-Trakt ist nur dann rentabel, wenn er ausgelastet ist. Demnach herrscht ständig Betrieb. Wer hier arbeitet, hat wenig Zeit, über die Geschichten hinter den Menschen nachzudenken. Operationen reuzieren sich auf Bezeichnungen.

Da werden nicht Herr oder Frau soundso operiert. Es kommen „der Bauch“, „das Knie“, „die Hüfte“.

Der Restmensch taucht nicht auf

Was für den Außenstehenden erschreckend versachlicht wirkt, ist eine notwendige Form der Professionalität. Operieren bedeutet: Professionelle Höchstleistung. Da gibt es das Operationsfeld, auf das man schaut. Der „Restmensch“ taucht nicht auf. Darf nicht auftauchen. Der Kopf muss frei bleiben für das Eigentliche. Manchmal allerdings tauchen auch Menschen auf.

Brauns erster „Fall“ ist heute „ein Fingernagel“. Die Patientin wird nicht in Vollnarkose in den OP gefahren. Sie läuft selbst. Braun erklärt, was er gleich tun wird. Wegen einer Nagelbettentzündung muss der Daumennagel „runter“. Während Braun mit seiner Arbeit beginnt und die erste Spritze setzt, beruhigt er die ältere Dame.

Es wird sich herausstellen, dass die Entzündung im Nagelbett eine lokale Betäubung nicht eben einfach macht. Immer wieder probiert der Doktor, „ob es denn noch weh tut“ — und immer wieder kommt eine deutliche Rückmeldung. Nach circa 30 Minuten ist dann alles ausgestanden — die Hälfte des Nagels musste weg. Die Patienten kann selber aus dem OP laufen. Eine leichte Sache. Für den Beobachter gut zum Eingewöhnen. Es ging relativ unblutig zu — trotzdem nichts, was man acht Stunden am Tag sehen möchte.

Als nächstes kommt „eine Hand“. Es wird jetzt filigraner, da es sich um einen eingeklemmten Nerv handelt. Braun kommt in den OP, als die Hand am Gelenk bereits geöffnet ist. Der Blick ins Innenleben ist für den Laien vorsichtig formuliert gewöhnungsbedürftig. Bei den Größenordnungen, in denen hier gearbeitet wird, ist äußerste Konzentration erforderlich. Für den Profi allerdings ist der eingeklemmte Nerv — bezogen auf die Größenverhältnisse — noch eine „Riesensache“.

„Wenn man einen Finger annäht“, erklärt der Professor, „müssen Blutgefäße mit einem Innenndurchmesser von weniger als einem Millimeter vernäht werden.“ Unvorstellbar.

Nullachtfünfzehn gibt es nicht

Was Braun an der Chirurgie fasziniert, ist nicht zuletzt aber auch der stete Wechsel. In einer Stunde wird er einen Unterschenkel nageln. „Da wird’s dann zugehen wie an der Werkbank“, erklärt er und zeigt das Instrumentarium. Hammer und Säge würden auch bei Schreinerarbeiten in den eigenen vier Wänden gute Dienste leisten. Eine Knochen-OP gehört durchaus zu den schweißtreibenden Aktionen, denn das Sägen und Nageln braucht vollen Körpereinsatz — Knochenarbeit eben.

0815 allerdings gibt es im OP nicht. Jeder Fall ist anders. Nach dem Unterschenkel schaut Braun noch bei einer „Spiegelung“ vorbei. Ein Schwerstverletzter bei einem Autounfall hat (neben diversen Brüchen) Blutungen im Bauchraum. Es soll festgestellt werden, wo die Ursache liegt. Der Mann war schon gestern nach seiner Einlieferung „auf dem Tisch“. Es stand „Spitz auf Knopf“. Jetzt hat sich der Zustand des jungen Mannes stabilisiert. Die Frakturen am Unterschenkel werden wahrscheinlich erst im nächsten „Arbeitsgang“ erledigt. Der junge Mann wird noch lange brauchen bis zur Entlassung.

Wenn Braun fertig ist mit dem Operieren, geht’s noch mal auf die Station und danach ins Büro. Ob er das Abendessen mit der Familie schafft? Schwer zu sagen. Einmal pro Woche allerdings versucht Braun, seinem Hobby nachzugehen: Er spielt Posaune in der Bigband der Kreismusikschule. Musik machen — das ist auch eine Art von Operation am offenen Herzen. Größter Unterschied: Am Instrument darf man sich hie und da mal einen Fehler erlauben.    

Bein OP




Heiner Frost
Erstellt: 18.03.2007, letzte Änderung: 18.03.2007