Zwischen Töpfen und Trophäen


Das Schwein des kleinen Mannes

Nein, ein 'Blauer Wiener' ist kein österreichischer Hauptstadtbewohner unter Alkoholeinfluss, aus einem 'Thüringer' muss nicht unbedingt eine Bratwurst werden, und ein 'Deutscher Riese' spielt nicht im Nationalteam der Basketballer. Wir haben es mit Kaninchen zu tun. Nach dem Krieg (und auch davor) galten sie als die 'Schweine des kleinen Mannes. Bei R Zwosiebenzwo dreht sich Vieles, wenn nicht alles, ums Kaninchen.

Hinter dem schlichten Kürzel verbirgt sich der Verein der Reeser Kaninchenzüchter. Das R steht für Rheinland. "Rund 400.000 Züchter sind im Zentralverband Deutscher Kaninchenzüchter (ZDK) organisiert", erzählt Vereins-Geschäftsführer und Cheflogistiker Josef Pierkes. (Eine gewaltigem, aber leider rückläufige Zahl.) Immerhin: 31 von ihnen sind R Zwosiebenzwo angeschlossen. In der Jugendabteilung sind es weitere zehn. 

Zurück zum ZDK. Geht man davon aus, dass jeder Züchter im Durchschnitt zwanzig Kaninchen besitzt, dann verfügt die Republik immerhin über 16 Millionen mehr oder minder lange Ohren, die sich ihrerseits auf acht Millionen 'Stallhasen' zurück rechnen lassen. Eine stattliche Summe. 

Die Jahresausstellung

Fester Bestandteil der Vereinsaktivitäten ist in Rees die jährliche Kaninchenausstellung, die meist Mitte November stattfindet. Da kann man sie dann bestaunen — die Top-Models vom Zwergkaninchen bis zum Deutschen Riesen (Kampfgewicht acht Kilogramm). 

Um eine Claudia Schiffer unter den Zuchtkaninchen zu sein, muss das Fazit auf der Bewertungsskala der Preisrichter 'vorzüglich' lauten. Stufe zwei und drei sind 'hervorragend' und 'sehr gut'. Wer die Spitzenposition in der Trophäenregion nicht erreicht, für den ist 'der Gang in die Küche' angesagt. Im Klartext: Der Platz im Kochtopf ist gesichert, denn selbstverständlich wird nicht nur gezüchtet, sondern auch gegessen. In Zeiten von BSE ist das Kaninchen zur schmackhaften Alternative geworden. Beim Fachgespräch unter Züchtern werden Tips in Sachen gesunde Ernährung für die Tiere und Tricks für die gute Züchtung genau so gehandelt wie schmackhafte Rezepturen zur Zubereitung des Kaninchenbratens. (Die Dialektik des Lebens.) Zum Beispiel das Fell: Ein schönes, samtweiches Kaninchenfell, schwören die Züchter, wird mit Gabe von Sonnenblumenkernen und Leinsamen erreicht. 

Seit 1932 werden in Rees Kaninchen auf Vereinsebene gezüchtet, und die bislang wohl höchste Auszeichnung für R Zwosiebenzwo war eine Deutscher Meisterschaft für den Vereinsvorsitzenden Helmut Görtzen im vergangenen Jahr in Essen. 24.000 Kaninchen gab es da in mehreren Hallen zu sehen. Jeder ausstellende Züchter ist mit mindestens vier Exemplaren einer 'Sammlung' vertreten. "Eine Sammlung — das sind vier Tiere. In der Zuchtgruppe Eins sind das Vater oder Mutter und drei Kinder. Die Zuchtgruppe Zwei versteht unter einer Sammlung vier Geschwister", erklärt Josef Pierkes. Die Bewertungen für die einzelnen Tiere einer Sammlung werden aufaddiert, danach werden die Spitzenplätze vergeben. Die Reeser Züchter stehen nicht schlecht da. Die Preise für ein Zuchtkaninchen liegen im Hundert-Euro-Bereich. Kauft man ein Top-Model von einem Profi-Züchter, kann es auch schon mal das Doppelte sein. (Kindergeburtstag — verglichen mit den Spitzenpreisen der Kollegen Brieftaubenzüchter.) 

Bodymaß und Idelgewicht

Zurück zur Kaninchenschau. Die ist freilich immer mit einem Wettbewerb verbunden. Elf Preisrichter entscheiden dann über Weh und Ach. Preisrichter wird man nicht per Handauflegen. Jeder künftige Richter muss zunächst eine Aufnahmeprüfung machen. Es schließt sich an: Eine dreijährige Ausbildung. (Wenn schon, dann richtig.) Erst nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung dürfen die Damen und Herren, die übrigens unabdingbar auch selber Züchter sein müssen, bei Regional-, Kreis-, Landes- oder Bundesschauen in Aktion treten.

Bei der Kreisverbandsschau lautet das Verhältnis: 706 Langohren, elf Richter. Macht 64,18 Tier pro Richter. Die Inaugenscheinnahme dauert in der Regel zwischen zwei und vier Minuten. Für jeden Richter ist ein Maximum von 80 Tieren festgelegt. 

Zu jedem Richter gehört ein 'Aufträger', der allein dafür da ist, die Tiere aus ihren Käfigen zu holen und nach der Bewertung zurück zu bringen. Zusätzlich zu den Richtern gibt es einen Obmann, der immer dann gerufen wird, wenn es um ein 'V-Tier' geht, ein 'vorzügliches Tier' also. Die Vergabe dieses Prädikates muss in jedem Fall durch den Obmann gegengezeichnet werden. 

Am Anfang jeder Bewertung steht der Gang auf die Waage. Schließlich gibt es auch für Kaninchen ein Idealgewicht, das natürlich je nach Rasse verschieden ist. Ein Hermelin beispielsweise darf, um nicht mit Punktabzug belegt zu werden, nicht mehr als 1.350 Gramm wiegen und sollte mindestens 1.100 Gramm auf die (längst elektronische) Waage bringen.

Zeichnungsrassen

Aber nicht nur das Gewicht spielt eine Rolle. Eigentlich wird alles am Kaninchen bewertet. Körperform, Ohrenlänge, Stirnbreite, Blume (der Schwanz) und nicht zuletzt auch das Gebiss. Unterschieden werden drei Gebissformen: Scherengebiss (ideal: die oberen Schneidezähne wachsen über die unteren), Zangengebiss (weniger gut: die Schneidezähne wachsen aufeinander) und Überbiss (die unteren Zähne wachsen über die oberen, was unweigerlich zum Ausschluss führt). Schwierig wird die Sache bei den sogenannten Zeichnungstieren — bei denen also, die nicht einfarbig sind. Zeichnungsrassen sind extrem schwer zu züchten, weil man bei den Jungtieren häufig nicht erkennen kann, ob es 'Zeichnungsmängel' gibt. 

Wer sich mit Zeichnungsrassen beschäftigt, ist häufig frustriert. Das wissen auch die Richter und leisten 'Entwicklungshilfe' bei der Bewertung. Die Höchstwertung für liegt übrigens bei 100 Punkten. Ein solcher Fall allerdings gehört zu den absoluten Ausnahmen und es gibt reichlich Richter, die nie einem 100-Punkte-Tier begegnet sind. Punktzahlen jenseits der 97 sorgen bei Züchtern für erhöhte Pulsfrequenz und sind aller Ehren wert.

Man kann ein Tier auch nicht zu beliebig vielen Ausstellung schicken. Ein Angora muss neun Wochen vor der Ausstellung geschoren werden, damit am Tag X das Fell optimal ist. Die Optik muss also punktgenau getrimmt werden, denn sonst wird es nichts mit der optimalen Punktausbeute.  




Heiner Frost
Erstellt: 18.03.2007, letzte Änderung: 18.03.2007